Hilfsfristmodell der Björn Steiger Stiftung

Grafik Neuordnung der Hilfsfristen
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Unser Modell sieht fünf unterschiedliche medizinische Prioritäten von 1 (rot, vitale Bedrohung eingetreten oder zu erwarten) bis 5 (blau, sonstige Hilfeersuchen) vor. Es unterscheidet einerseits die Reaktion der Leitstelle auf einen Notruf, die meldungsbasiert anhand der vom Notrufmelder geschilderten Symptome erfolgen muss und andererseits den Bereich „Versorgung und Transport“, die diagnosenbasierend durch die Einsatzkräfte vor Ort erfolgen muss und mit drei Kategorien auskömmlich umsetzbar ist. 

ACHTUNG: Der hier dargestellte Stand unseres Hilfsfristmodells ist der aktuelle Arbeitsstand unseres Expertengremiums. Alle Texte und Grafiken sind nicht final und werden momentan noch eingehend diskutiert und bearbeitet. Vor allem auch die zeitlichen Parameter sind noch nicht endgültig festgelegt, hier wollen wir evidenzbasierende Werte haben, nicht "eminenzbasierende".

Die Definition obiger Zeitintervalle finden Sie HIER

Priorität 1a stellt die höchste Dringlichkeit dar. Bei derartigen Einsätzen zählt jede Sekunde. Sie beinhaltet lediglich drei Indikationen: Herz-Kreislauf-Stillstand, Bewusstlosigkeit mit unsicherer Atmung und Atemwegsverlegungen/Bolus-Geschehen. Hier ist eine akute vitale Bedrohung bereits eingetreten, das vorrangige Ziel ist eine schnellstmögliche Intervention. Hier müssen alle „Register“ der präklinischen Notfallmedizin gezogen werden. 

Eine Alarmierung von First Respondern und Ersthelfern über eine APP ist bei Einsätzen der Priorität 1a zwingend erforderlich, wenn diese die Einsatzstelle schneller als die alarmierten Einsatzkräfte erreichen können. Regionen, die noch keine Alarmierung von mobilen Ersthelfenden durchführen, sollten hierzu per Gesetz verpflichtet werden.

Die ERC-Guidelines sehen im Fall einer Reanimation eine Ablösung der Person, welche die Thorax-Kompression durchführt, nach zwei Minuten vor. Um ein regelmäßiges Tauschen der Rettungskräfte zu ermöglichen, soll neben RTW und NEF (RTH) mindestens ein drittes Rettungsmittel (RTW oder KTW) zur Einsatzstelle alarmiert werden. Alternativ zu einem zusätzlichen Rettungsmittel des Rettungsdienstes kann auch eine Einheit der Feuerwehr (in der Regel HLF) entsandt werden. Die zusätzliche Alarmierung eines HLF hat den Vorteil, dass nicht nur die Reanimationsmaßnahmen unterstützt werden können sondern auch im Falle eines Wiedereinsetzens des Kreislaufs (ROSC, return of spontaneous circulation) der Patient ohne Zeitverzug (hier: Warten auf das Eintreffen des Fahrzeuges zur Tragehilfe) zum Transportmittel transportiert und schnellstmöglich hospitalisiert werden kann.

Wesentliche Festlegungen zur Hilfsfrist

  • Zur Verkürzung der Hilfsfrist sollen First Responder eingesetzt werden. Hier sind grundsätzlich alle Systeme der Behörden und Organisationen mit Sicherheitsaufgaben (BOS) einschließlich der polizeilichen Gefahrenabwehr einzubinden, da diese Teile der staatliche Fürsorgepflicht in der Gefahrenabwehr darstellen. „First Responder“ sind bislang in der Regel ehrenamtliche Kräfte von Hilfsorganisationen oder freiwilligen Feuerwehren, die in der Regel über eine medizinische Ausbildung (häufig mindestens Rettungs(dienst)helfer) verfügen und ergänzend zum Rettungsdienst alarmiert werden. Sie fahren mit einem Einsatzfahrzeug samt medizinischer Ausrüstung unter Inanspruchnahme von Sonder- und Wegerechten die Einsatzstelle an. Diese Systeme müssen im oben genannten Umfang ausgeweitet und gesetzlich begründet flächendecken implementiert werden.
    • Der Einsatz von organisierten „First Respondern“ ist auch in der Priorität 2 sinnvoll, wenn der Rettungsdienst absehbar später als in der Hilfsfrist gefordert eintrifft.
  • Die Atemwegsverlegung ist einem Atemstillstand gleichzusetzen.
  • Bei Bewusstlosigkeit mit unsicherer Atmung muss schnellstmöglich ein Herz-Kreislauf-Stillstand ausgeschlossen werden.
  • In den Prioritäten 1a, 1b und 2 soll die Next-Best-Strategie [12] angewendet werden.

Zusatzinformation: In Neuseeland ist die Hilfsfrist für Einsätze der Priorität 1a landesweit sechs Minuten in 50 Prozent der Fälle („Purple Calls“, urban) [13], in Großbritannien sieben Minuten in 50 Prozent der Fälle („Category 1“) [14]

Einsatzmittel

  • Rettungswagen sollen nur in den Prioritäten 1 und 2 eingesetzt werden.
  • Wenn ein N-KTW für einen Einsatz mit der Priorität 2 eingesetzt ist, wird durch die parallele Entsendung eines Gemeindenotfallsanitäters (G-Notsan) oder einer Acute Community Nurse zu der Einsatzstelle der N-KTW zu einem vollwertigen RTW.
  • Je nach Meldebild in der Priorität 3 fährt der N-KTW entweder mit oder ohne Inanspruchnahme von Sonder- und Wegerechten.
  • Steht in der Priorität 3 kein N-KTW zur Verfügung, kann ein RTW eingesetzt werden. Ein RTW soll eingesetzt werden, wenn der Zustand des/der Patient:in eine Analgesie erforderlich macht.

Versorgung und Transport (diagnosenbasiert)

Kategorie 1: 

  • Kategorie 1 enthält die Prioritäten 1a und 1b.
  • Dieser Kategorie sind Patienten zuzuordnen, die akut vital bedroht sind oder bei denen dies zu erwarten ist.
  • Neben einer schnellen Versorgung hat ein schneller Transport Priorität.
  • Soweit nicht durch Leitlinien Zeitvorgaben erteilt werden (z.B. S3-Leitline Polytrauma / Schwerverletzten-Behandlung [16]; 60 Minuten oder ESC-STEMI-Leitlinie [17] („door-to-needle time“; 30 Minuten“ und „door-to-balloon time“; 120 Minuten), verzichten wir hier auf Empfehlungen und geben lediglich den Hinweis: Der Patient soll so schnell wie regional möglich in die Klinik eingeliefert werden.

Kategorie 2: 

  • Kategorie 2 enthält die Priorität 2.
  • Dieser Kategorie sind Patienten zuzuordnen, bei denen eine vitale Bedrohung oder eine Zustandsverschlechterung nicht ausgeschlossen ist.
  • In dieser Kategorie hat die schnelle Versorgung und Diagnosestellung Priorität.
  • Auch hier gibt es keine zeitlichen Empfehlungen, sondern lediglich der Hinweis: Der Patient soll so schnell wie regional möglich in die Klinik eingeliefert werden.

Kategorie 3: 

  • Kategorie 3 enthält die Prioritäten 3 und 4.
  • Dieser Kategorie sind alle nicht den Kategorien 1 und 2 zugehörigen Patienten zuzuordnen.
  • Keine Empfehlungen oder Hinweise in Bezug auf ein Eintreffen am Zielort.

Transportziele sollen ab der Priorität 3 neben einer Klinik auch Vertragsarztpraxen bzw. medizinische Versorgungszentren sein, vgl. „SaN-Projekt“ in Hessen [15]

Nächste/weitere Schritte:

Zunächst müssen die noch fehlenden Zeiten, vor allem die Hilfsfristen, definiert und alle bisher erarbeiteten Text final festgelegt werden.


Quellenverzeichnis

[1] Dr. Ing.h.c. F. Porsche AG & Bundesministerium für Forschung und Technologie. (1978). Feuerwehrsystem O.R.B.I.T - Entwicklung eines Systems zur optimierten Rettung Brandbekämpfung mit integrierter Hilfeleistung. https://www.luelf-plus.de/fileadmin/files/Downloads/Feuerwehrsystem-Orbit.pdf

[2] https://www.gemeindenotfallsanitaeter.de

[3] https://www.skverlag.de/rettungsdienst/meldung/newsartikel/bremen-fuehrt-in-der-corona-pandemie-den-hansesani-ein.html

[4] https://www.skverlag.de/rettungsdienst/meldung/newsartikel/frankfurt-testet-notfallsanitaeter-erkunder.html

[5] Breuer, F., Pommerenke, C., Ziemen, B., Stiepak, J. K., Poloczek, S., & Dahmen, J. (2021). Einführung von NotSan-Erkundern im Rahmen der COVID-19-Pandemie in der Berliner Notfallrettung [Introduction of emergency paramedic investigators in the context of the COVID-19 pandemic in the Berlin emergency medical service]. Notfall & rettungsmedizin, 24(7), 1033–1042. 

[6]https://www.stmi.bayern.de/med/aktuell/archiv/2022/220413rettungseinsatzfahrzeug/

[7] Trautmann, R. (2021). Kann der Notruf-Dialog durch eine konkretere Ortsabfrage beschleunigt werden? BRANDSchutz, 4/2021, 258–261. https://shop.kohlhammer.de/kann-der-notruf-dialog-durch-eine-konkretere-ortsabfrage-beschleunigt-werden-978-3-00-424508-0.html

[8] Michels, G., Bauersachs, J., Böttiger, B. W., Busch, H., Dirks, B., Frey, N., Lott, C., Rott, N., Schöls, W., Schulze, P. C. & Thiele, H. (2022). Leitlinien des European Resuscitation Council (ERC) zur kardiopulmonalen Reanimation 2021: Update und Kommentar. Anaesthesist, 71(2), 129–140. 

[9] Pell, J. P. (2001). Effect of reducing ambulance response times on deaths from out of hospital cardiac arrest: cohort study. BMJ, 322(7299), 1385–1388. 

[10] Koike, S., Ogawa, T., Tanabe, S., Matsumoto, S., Akahane, M., Yasunaga, H., Horiguchi, H. & Imamura, T. (2011). Collapse-to-emergency medical service cardiopulmonary resuscitation interval and outcomes of out-of-hospital cardiopulmonary arrest: a nationwide observational study. Critical Care, 15(3), R120. 

[11] Bürger A, Wnent J, Bohn A, Jantzen T, Brenner S, Lefering R, Seewald S, Gräsner JT, Fischer M (2018): The effect of ambulance response time on survival following out-of-hospital cardiac arrest—an analysis from the German resuscitation registry. Dtsch Arztebl Int, 115: 541–8

[12] Aschenbrenner, U., Braun, J., Reifferscheid, F. & Sandrock, M. (2019). Zeitgerechte Disposition nach der „Next-Best-Strategie“: Beispiel Polytrauma. BOS-LEITSTELLE AKTUELL, 02/2019, 69–73.

[13]https://www.tewhatuora.govt.nz/assets/Our-health-system/Who-were-working-with/NASO-monthly-report-January-2023.pdf

[14]https://www.gov.uk/government/publications/supplements-to-the-nhs-constitution-for-england/the-handbook-to-the-nhs-constitution-for-england

[15] https://www.kvhessen.de/praxis-management/san-projekt

[16] Deutsche Gesellschaft für Unfallchirurgie e.V.: S3-Leitlinie Polytrauma/Schwerverletzten-Behandlung (AWMF Registernummer 187-023), Version 4.0 (31.12.2022), verfügbar unter https://www.awmf.org/leitlinien/detail/ll/187-023.html. 

[17] (2018) ESC Pocket Guidelines. Therapie des akuten Herzinfarktes bei Patienten mit ST-Streckenhebung (STEMI), Version 2017. Börm Bruckmeier Verlag GmbH, Grünwald

Kurzfassung der „ESC Guidelines for the management of acute myocardial infarction in patients presenting with ST-segment elevation" (European Heart Journal; 2018 - doi/10.1093/eurheartj/ehx393)

[18] Lechleuthner, A. (2014). Der Pyramidenprozess – die fachliche Abstimmung der invasiven Maßnahmen im Rahmen der Umsetzung des Notfallsanitätergesetzes. Notarzt, 30(03), 112–117

[19] Indikationskatalog für den Notarzteinsatz. (2013, 22. Februar). Bundesärztekammer. Abgerufen am 8. Februar 2022, von https://www.bundesaerztekammer.de/aerzte/versorgung/notfallmedizin/notarzt/indikationskatalog-fuer-den-notarzteinsatz/

[20] Krey, J. (2013). Manchester Triage System. Intensiv, 21(03), 142–147. https://doi.org/10.1055/s-0033-1344015

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