Videotelefonie bei der Notrufbearbeitung ?

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Videotelefonie hat in den letzten Jahren signifikante Fortschritte gemacht und findet immer mehr Anwendungen in verschiedenen Bereichen, darunter auch bei der Notrufbearbeitung.

Videotelefonie bei der Notrufbearbeitung kann bei gezieltem Einsatz Vorteile bieten, insbesondere in Bezug auf die Verbesserung der Situationsbewertung und die Effizienz der Kommunikation. Eine erfolgreiche Integration von Videotelefonie in Notrufsysteme erfordert sorgfältige Planung und kontinuierliche Anpassung an die sich laufend ändernden technischen und gesellschaftlichen Bedingungen.

Apple will Video bei Notrufen in nächstes iPhone-iOS implementieren

Auf der WWDC 2024 hat Apple eine neue Funktion präsentiert, die es ab dem iOS 18 ermöglichen wird, während eines Notrufes einen Videokanal zu öffnen oder Bilder aus der Mediathek des iPhones mit der Notrufleitstelle zu teilen. Voraussetzung dafür ist natürlich, dass die Notrufleitstellen technisch dazu in der Lage sind. In den USA wollen zwei Anbieter von Notrufplattformen (RapidSOS und Prepared) diese neuen Funktionen bereits ab Herbst 2024 unterstützen.

Vor- und Nachteile der Videotelefonie bei der Notrufbearbeitung:

Die wissenschaftliche Literatur weist unter anderem Vor- und Nachteile der Videotelefonie im Rahmen der Notrufbearbeitung aus (ohne Anspruch auf Vollständigkeit):

Vorteile:

  1. Verbesserte Ergebnisse bei der Herz-Lungen-Wiederbelebung (CPR): Studien zeigten, dass videogestützte CPR unter Anleitung des Disponenten (V-DACPR) die Rückkehr des Spontankreislaufs (ROSC) vor dem Krankenhausaufenthalt und das Überleben bis zur Entlassung aus dem Krankenhaus mit besseren neurologischen Ergebnissen signifikant erhöhte (Bielski et al., 2022) V-DACPR verbesserte die Qualität der Brustkorbkompressionen, mit besserer Kompressionstiefe und -frequenz im Vergleich zu Audioanweisungen allein (Ecker et al., 2020) Videokommunikation reduzierte die Hands-off-Zeit und verbesserte die Qualität der HLW, obwohl die Auswirkungen auf die wichtigsten HLW-Variablen ohne angemessene Schulung der Disponenten begrenzt waren (Bolle et al., 2008)
  2. Verbesserte Situationseinschätzung und Entscheidungsfindung: Die Videotelefonie ermöglicht den Disponenten eine visuelle Einschätzung der Situation, was zu einem besseren Verständnis und einer genaueren Entscheidungsfindung führt (Møller et al., 2021). Der visuelle Input hilft bei der Erkennung sichtbarer Verletzungen, Symptome und Gefahren, was für eine effektive Triage und Ressourcenzuweisung entscheidend ist (Linderoth et al., 2021). Videotelefonie erlaubt es den Notrufbearbeitern, visuelle Informationen über die Situation vor Ort zu erhalten, wodurch die bisherige Arbeit im nichtvisuellen Umfeld teilweise abgelöst wird. Dies verbessert die Entscheidungsfindung, da die Notrufbearbeiter eine genauere Einschätzung der Lage vornehmen können, indem sie Verletzungen, Brände oder andere Notfälle visuell beurteilen und somit präzisere Maßnahmen ergreifen können.
  3. Verbesserte Kommunikation und Instruktionen: Videokommunikation verbessert die Klarheit der Anweisungen an Umstehende und stellt sicher, dass diese korrekt und effektiv befolgt werden können (Bell et al., 2021). Zum Beispiel verbessert das EmergencyEye®-System den Einsatz in Notfällen, indem es Disponenten ermöglicht, Umstehende durch Live-Video-Streaming effektiver anzuleiten (EmergencyEye®). Durch den visuellen Kontakt können Missverständnisse vermieden werden, die bei reiner Sprachkommunikation auftreten könnten, und die Notrufbearbeiter können nonverbale Hinweise wie Mimik und Gestik des Anrufers wahrnehmen, was die Kommunikation klarer und effektiver macht.
  4. Unterstützung bei psychischen Krisen: Videotelefonie hat sich als effektiv bei der Bewältigung psychischer Notfälle erwiesen. Sie ermöglicht Disponenten, den psychischen Zustand der Anrufer visuell einzuschätzen und geeignete Maßnahmen zu ergreifen (Linderoth et al., 2021).
  5. Verbesserung bei der Ressourcennutzung: Videotelefonie kann zu einem besseren Ressourcenmanagement beitragen, indem sie Disponenten ermöglicht, fundierte Entscheidungen über den Bedarf der benötigten Rettungsmittel zu treffen. Durch den Einsatz von Videotelefonie können unnötige Einsätze reduziert werden, was zu einer effizienteren Nutzung der verfügbaren Ressourcen führt (Xie et al., 2023).
  6. Beruhigung und Unterstützung: In Notfällen kann der direkte visuelle Kontakt mit einem Notrufbearbeiter beruhigend auf die betroffene Person wirken. Die Präsenz eines Menschen auf dem Bildschirm kann das Gefühl der Isolation verringern und das Vertrauen stärken, dass Hilfe unterwegs ist.
  7. Schulung und Qualitätskontrolle: Videoaufzeichnungen von Notrufen können zu Schulungszwecken und zur Qualitätskontrolle verwendet werden, um die Fähigkeiten von Disponenten und Umstehenden zu verbessern (You et al 2008) Ein Fernlernprogramm für HLW unter Verwendung von Smartphone-Anwendungen und Übungspuppen zeigte eine hohe Nutzerzufriedenheit und war während der COVID-19-Pandemie logistisch machbar (Lee et al 2023).

Nachteile:

  1. Technische Herausforderungen: Videotelefonie erfordert stabile Internetverbindungen und geeignete technische Ausrüstung auf beiden Seiten. In ländlichen Gebieten oder bei älteren Menschen, die möglicherweise nicht über die notwendige Technologie verfügen, kann dies ein Problem darstellen. Zudem kann die Videoqualität unter suboptimalen Bedingungen, wie bei schlechter Beleuchtung oder starkem Hintergrundrauschen, erheblich beeinträchtigt werden. Dies kann die Verständigung und die korrekte Einschätzung der Notfallsituation erschweren (Neustaedter et al., 2018).
  2. Geschwindigkeit der Abfrage: Videotelefonate führen oft dazu, dass mehr Zeit für eigentlich leicht und rasch zu beantwortende Fragen aufgewendet wird, was die Effizienz der Notrufbearbeitung beeinträchtigen kann. Studien zeigen, dass die Verwendung von Videotelefonie zu einer Verlangsamung des Prozesses führen kann, da die Anrufer und Dispatcher mehr Zeit mit dem Verstehen und Verarbeiten der visuellen Informationen verbringen (Sýkora et al., 2022).
  3. Datenschutz und Sicherheit: Die Übertragung von Videodaten wirft Datenschutz- und Sicherheitsbedenken auf. Informationen zu und über Personen im Umkreis des Notrufenden werden mitübermittelt, die dazu keine explizite Zustimmung gegeben haben. Zudem muss sichergestellt sein, dass die Kommunikation sicher ist und keine unbefugten Zugriffe auf diese sensiblen Daten erfolgen. Die Implementierung sicherer Verschlüsselungsstandards und regelmäßige Sicherheitsüberprüfungen sind notwendig, um die Integrität der Daten zu gewährleisten (Singhal & Neustaedter, 2018).
  4. Stress und Überforderung: In stressigen Notfallsituationen kann die Handhabung eines Videotelefonie-Systems für die betroffenen Personen eine zusätzliche Belastung darstellen. Sie müssen möglicherweise neben der eigentlichen Notlage auch noch Technik bedienen, was sie überfordern kann. Dies kann dazu führen, dass wichtige Informationen nicht korrekt übermittelt werden und die Effizienz der Notfallreaktion beeinträchtigt wird (Neustaedter et al., 2018).
  5. Kosten: Die Implementierung von Videotelefonie in Notrufzentralen ist mit zusätzlichen Kosten verbunden. Dies umfasst die Anschaffung der notwendigen Ausrüstung, die Schulung der Mitarbeiter und die Wartung der Systeme. Weiterhin müssen die Systeme regelmäßig aktualisiert und überprüft werden, um sicherzustellen, dass sie den aktuellen Sicherheitsstandards entsprechen. Dies stellt eine finanzielle Belastung dar, insbesondere für kleinere Notrufzentralen mit begrenzten Budgets (Mueller et al., 2014).
  6. Anfälligkeit für Fehlfunktionen: Technische Störungen oder Ausfälle können die Effektivität der Notrufbearbeitung erheblich beeinträchtigen. Probleme wie Netzwerkunterbrechungen, Softwarefehler oder Hardwaredefekte können dazu führen, dass wichtige visuelle Informationen nicht übermittelt werden. Dies kann die Reaktionszeit verlängern und die Qualität der Notfallhilfe verringern (Barbieri et al., 2007).
  7. Komplexität der Bedienung: Videotelefonie-Systeme können für Notrufende und Dispatcher gleichermaßen kompliziert zu bedienen sein. Eine effektive Nutzung erfordert sowohl technisches Wissen als auch Übung im Umgang mit den spezifischen Systemen. Fehlende Schulung oder mangelnde Erfahrung kann zu Bedienungsfehlern und ineffektiver Kommunikation führen (Melbye et al., 2014).

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