Das Gutachten

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Neuordnung des deutschen Rettungswesens
Zwingende verfassungsrechtliche Vorgaben

Professor Dr. Dr. Udo Di Fabio – zwölf Jahre Richter des Bundesverfassungsgerichts – hat im Auftrag der Björn Steiger Stiftung ein Rechtsgutachten zu den verfassungsrechtlichen Vorgaben für die Neuordnung der deutschen Notfallrettung verfasst.

Das Gutachten wurde am 18. Juli 2024 in Berlin im Rahmen der Bundespressekonferenz vorgestellt. Hier Klicken für die Pressemeldung.

Hier auf dieser Webseite finden Sie sowohl das vollständige Gutachten zum Herunterladen, als auch die wesentliche Aussagen des Gutachtens als Leitsätze.

Leitsätze des Gutachtens

  1. Das deutsche Rettungswesen (Straße) befindet sich in einer Systemkrise. Die Fallzahlen in der Notfallversorgung sind stark gestiegen und es wird zunehmend für „einfache Erkrankungen“ in Anspruch genommen. Zudem ist die Hardware (insbesondere Fahrzeuge und ihre Ausstattung) und die Software (einschließlich der Funktionsweise der Leitstellen) häufig unangemessen. Das gilt besonders für die Länge und Berechnung der Hilfsfristen. Es gibt erhebliche Qualitätsunterschiede in der geografischen Fläche sowie zwischen Stand und Land.
  2. Das Rettungswesen ist enorm kostspielig. Die gesetzliche Krankenversicherung (GKV) – als gesetzlicher Kostenträger – hatte dafür 2022 einen Aufwand von 10,8 Mrd. Euro (ca. 90% des Gesamtaufwandes), die private Krankenversicherung (PKV) trug die restlichen 10% ca. 1,2 Mrd. Noch 2018 lagen die Gesamtkosten bei knapp 4 Mrd. Euro. Die Kosten spiegeln teilweise die Systemmängel wider.
  3. Der Bürger hat ein Grundbedürfnis, bei einem medizinischen Notfall oder einem Unfall rasch qualifizierte Hilfe zu erhalten. Diese Erwartung umfasst heute auch präklinisch notfallmedizinische und -ärztliche Versorgung vor Ort sowie auf dem Transportweg. Rettungsdienst ist ein „essenzieller Bestandteil der staatlichen Daseinsvorsorge“ (BReg 2012 im Gesetz (E) Notfallsanitäter).
  4. Der Daseinsvorsorgeauftrag „Gesundheit“ ist mit einer grundrechtlichen Schutzpflicht aus Art. 2 Abs. 2 GG unterlegt. Der Staat ist deshalb unter anderem verpflichtet, das hat das Bundesverfassungsgericht bereits festgestellt, ein funktionierendes System des Rettungsdienstes zur Verfügung zu stellen: Es steht "außer Frage", dass ein ausreichender Schutz der Bevölkerung nicht gewährleistet ist, wenn Notfallpatienten nicht schnell lebensrettende Hilfe erhalten oder wenn Kranke, Verletzte und andere Hilfsbedürftige nicht zügig unter fachgerechter Betreuung transportiert werden. Notwendig ist daher ein funktionierendes System des Rettungsdienstes." (BVerfG E 126, 112, 141). Diese Pflicht ist zukunftsgerichtet und umfasst auch Maßnahmen zur Vorsorge gegen Gesundheitsbeeinträchtigungen (so zuletzt VGH Mannheim, DVBl 2024, 177 ff.).
  5. Die bisherige Zuordnung des Rettungsdienstes in den Kompetenzbereich der Länder versteht sich nicht von selbst. Der Bund hat unter anderem die konkurrierende Gesetzgebungskompetenz für die Sozialversicherung (Art. 74 Abs. 1 Nr. 12 GG) und hat davon in erheblicher Breite und Tiefe Gebrauch gemacht. Aus seiner Entscheidung, die grundrechtliche Schutzpflicht auch durch eine hauptsächlich über GKV-Beiträge finanzierte Notfallrettung zu erfüllen, hat der Bund eine Garantenstellung für die Infrastruktur und die Qualität der Notfallrettung übernommen.
  6. Das entscheidende Qualitätsmerkmal ist der verfassungsrechtlich über den allgemeinen Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 GG) vermittelte, sozialrechtlich konkretisierte Grundsatz „gleiche Beiträge, gleiche Leistung“.
  7. Der Bundesgesetzgeber kann in verfassungsmäßiger Weise über seine Kompetenz zur Qualitätssicherung auf die Organisation und die Abläufe der Notfallrettung flächendeckend einwirken. Der Bund sollte den Graubereich der medizinischen Leistung „Notfallrettung“ im Leistungskatalog des Sozialgesetzbuchs regeln.
  8. Der Bund ist verpflichtet, einheitliche Regeln für medizinische Leistungen in der Notfallrettung zu definieren. Das grundrechtlich gebotene Ziel muss es sein, eine Notfallrettung zu organisieren, die bei lebensbedrohlichen Erkrankungen die Überlebenschancen des Patienten wahrt und nicht durch unzureichende Personal- und Sachressourcen, mangelhafte Organisation sowie durch zu lange Hilfsfristen verschlechtert. Alles andere kostet Menschenleben.

Das Gutachten im Detail

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