Aufgrund der Notwendigkeit, beispielsweise (Not-)Ärzte vor allem präklinisch sinnvoll nur dort einzusetzen, wo sie auch wirklich benötigt werden und vor dem Hintergrund des seit Jahren immer eminenter werdenden Ärztemangels wurde in Österreich in der Bundes- und Landeszielsteuerung als Strategie im Gesundheitswesen die Projekte „Telefonische Gesundheitsberatung“ sowie „Primärversorgungszentren“ aus der Taufe gehoben. Wegen der zuvor beschriebenen Überlegungen von integralen Zuständigkeiten war es in Niederösterreich nur logisch, die neue telefonische Gesundheitsberatung im Bereich der Leitstelle anzusiedeln. Denn mit der telefonischen Gesundheitsberatung werden Patienten, auch zeitlich gesehen, zur optimalen Behandlungseinrichtung geleitet. Einige angloamerikanische Länder, Skandinavien, die Schweiz und Australien setzen seit Jahrzehnten bereits aus unterschiedlichen Anforderungen heraus auf eine Erstauskunft in der Gesundheitsversorgung.
Egal über welche Telefon- oder Notrufnummer die Bürgerin oder der Bürger die Leitstelle kontaktiert, wird eine Ersttriagierung vorgenommen, die zwischen lebensbedrohlichen Erkrankungen oder Verletzungen und ungefährlichen gesundheitlichen oder sozialen Problemen unterscheidet. Dies erfolgt durch einen speziell geschulten Notrufmitarbeiter und nach klaren Regeln, die auch regional unterschiedlich sein können. Daher ist es auch möglich, dass Hilfeersuchen die über die Notrufnummer des Rettungsdienstes einlangen nicht mehr mit dem Rettungsdienst bedient werden. In vielen Fällen ist ja, wie bereits beschrieben, eine sofortige Intervention gar nicht notwendig. Der Hilfesuchende benötigt vielmehr nur die Sicherheit, dass sein Problem jetzt nicht akut ist. Ist die Notwendigkeit einer Intervention der Notfallrettung zum aktuellen Zeitpunkt ausgeschlossen oder durch die standardisierte Notrufabfrage nicht notwendig, dann erfolgt die Übergabe an medizinisches Fachpersonal, das eine weitere Einstufung vornimmt, daraus Selbstbehandlungsmaßnahmen ableitet, die weitere Vorgehensweise mit dem Anrufer bespricht und Empfehlungen abgibt.
Genauer erklärt, wird eine speziell geschulte diplomierte Krankenpflegeperson, die über System- und Berufserfahrung verfügt, in einem ersten Schritt Vorerkrankungen, Allergien und Medikation, sowie die Symptome mit Hilfe eines von Expertensystems erfragen. Anhand dessen kann sie die Dringlichkeit der Beschwerden definieren und dadurch eine Empfehlung über die Zeitspanne geben, innerhalb der eine eingehende Untersuchung und/oder Behandlung stattfinden soll. Dieses Abfragesystem wird bereits seit vielen Jahren international sehr erfolgreich und vor allem mit hoher Sicherheit für die PatientInnen eingesetzt. Ebenso wird der oder dem Anrufenden eine passende Empfehlung gegeben, welche Behandlungsoption für ihn oder sie geeignet ist. Das reicht von der Beratung für eine Selbstbehandlung über die Entsendung einer Visitenärztin oder eines Visitenarztes, die Empfehlung, die Hausärztin oder den Hausarzt beziehungsweise eine Fachärztin, einen Facharzt aufzusuchen, bis hin zur Alarmierung des Rettungsdienstes im Notfall.
Ziel ist, dass der Patient bekommt was er braucht, nicht was er gerne hätte …. und das beim „best point of service“
Die Experten am Telefon berücksichtigen dabei auch die Entfernung des Anrufers zu der nächstliegenden geeigneten Behandlungsstelle sowie deren Öffnungszeiten. Falls das geschilderte Problem keine dringliche Abklärung erfordert, wird beispielsweise die Konsultation des Haus- bzw. Facharztes zum nächsten möglichen Zeitpunkt empfohlen. Ein besonderer Benefit für Hausärzte wird dadurch erreicht, dass wenn die Symptome eine rasche Untersuchung oder Behandlung erfordern, wird für deren Patienten die nächstgelegene geeignete und verfügbare Gesundheitseinrichtung gefunden. Damit können die Patienten auch außerhalb der Ordinationszeiten auf eine telefonische Beratung zurückgreifen, die ihnen Sicherheit gibt, wie rasch ihr gesundheitliches Problem behandelt werden muss.
Damit wird nicht das Gespräch mit oder die Behandlung beim Arzt ersetzt, sondern sichergestellt, dass die Patienten und Patientinnen zum „Best Point of Service“ geführt werden, eben gleich an die für sie richtige Stelle im Gesundheitssystem.
Bezogen auf den Rettungsnotruf und den Rettungsdienst führt dies zu einer Reduktion unnötiger Ausfahrten und Hospitalisierungen !
Ein Gespräch an der telefonischen Gesundheitsberatung dauert in der Regel zwischen 10 und 15 Minuten. Das bedeutet, dass eine sehr ausführliche Beratung möglich ist, oft ausführlicher als sie direkt in verschiedenen Behandlungsstellen möglich wäre. Knapp 60 Prozent der Hilfesuchenden in Niederösterreich konnten mit unterschiedlichen Dringlichkeiten (innerhalb von vier oder zwölf Stunden, oder in den nächsten 1-3 Tagen) an die passende ärztliche Versorgung zugewiesen werden. Erst danach folgen Empfehlungen für eine spezialisiertere bzw. dringlichere Versorgung – wie direkt in einem Klinikum. Die häufigsten Beratungen wurden zu Beschwerden nach Insektenstichen (saisonal bedingt), Schwindel, Erbrechen, Rücken- und Bauchschmerzen durchgeführt. Die meisten Beratungen erfolgen naturgemäß in den Regionen mit hoher Bevölkerungsdichte. Zeitlich gesehen gibt es erste Anrufspitzen bereits in den Morgenstunden ab 6:00 bis etwa 9:00 Uhr. Bei den abendlichen Spitzen rund um 19.00 Uhr ergeben sich Schwankungen durch die Tageslicht-Veränderung in den Jahreszeiten. Im Sommer verschiebt sich die Spitze nach 20:00 Uhr, im Winter steigen die Anrufe bereits ab etwa 16:00 Uhr an.
Aus internationalen Erfahrungen rechnet man mit rund 10% der Bevölkerung, welche die Gesundheitsberatung in Anspruch nehmen. Aus den knapp zwei Millionen Einwohner Niederösterreichs, sowie der Verknüpfung mit Verweisungen von anderen Diensten, wie Anrufer die via Notruf einlangen, rechnen wir allein in Niederösterreich jährlich mit knapp 200.000 Fällen, die vom diplomierten Pflegepersonal abgearbeitet werden. Daraus ergeben sich durchschnittlich 550 Beratungen täglich, die mit dem vertraglich geforderten Servicelevel von 80:20 (80% der Anrufe müssen innerhalb von 20 Sekunden angenommen werden) serviciert wird.
Wichtig für die Bewertung der Beratungen und deren Effekt ist das Datawarehousing, das in Österreich über die Sozialversicherung einfließt. Diese betreibt ein Reporting- und Protokoll-System, das geeignet ist – basierend auf den Einzeldaten der Anrufer über das Ergebnis der Dringlichkeitseinschätzung und die konkret erteilte Beauskunftung (was wurde empfohlen, wohin genau wurde der Anrufer zugewiesen) beziehungsweise den dabei generierten Daten – Aussagen über die Richtigkeit und Wirksamkeit der gesundheitspolitischen Maßnahme „Telefonische Gesundheitsberatung“ ableitbar zu machen. Hierfür werden die von den dezentralen Nutzern verschlüsselt übermittelten Einzeldaten (jedenfalls Name und Sozialversicherungsnummer) aus dem Expertensystem durch die bei der Sozialversicherung eingerichtete Pseudonymisierungsstelle pseudonymisiert, sodass die Zuordnung der personenbezogen erfassten Anrufdaten auf eine natürliche Person nicht mehr möglich ist. Ziel der Auswertungen der pseudonymisierten Informationen ist es, insbesondere folgende Anforderungen abdecken zu können:
Dadurch kann die Wirksamkeit des Beratungssystems evaluiert werden. Durch die Nutzung der e-Card in einer Behandlungsstelle, kann überprüft werden, ob die Patientin / der Patient den Empfehlungen des diplomierten Pflegepersonals am Telefon gefolgt ist und ob diese auch annähernd korrekt war.
Mit der Integration der elektronischen Gesundheitsakte (ELGA) kann dieser Ablauf noch effizienter und zielgerichteter gestaltet werden. Mit der Abfrage der Sozialversicherungsnummer steht der Fachkraft am Telefon dadurch zum Beispiel auch die Information über die aktuelle Medikation zur Verfügung, was genauere Entscheidungen und bessere Beratung zulässt. ELGA bietet die Möglichkeiten, elektronisch Rezepte über den telemedizinischen Ärztedienst in der nächsten dienstbereiten Apotheke auch außerhalb der Öffnungszeiten bereitzustellen, dem Haus- oder Facharzt die Information über eine nächtliche medizinische Anweisung und einen anstehenden Ordinationsbesuch oder eine Terminvereinbarung zur nächstmöglichen Gelegenheit zu geben. Möglich ist auch die Übermittlung von aktuellen Bildern und Fotos offensichtlicher Erkrankungen, aufgenommen beispielsweise mit Hilfe eines Smartphones.
Es sollte aber auch über Anreizsystem nachgedacht werden. Jenes aus Australien ist in unseren Breiten nicht wirksam, denn die Notwendigkeit einer telefonischen Gesundheitsberatung ergab sich dort aus den extremen Anfahrtswegen und Entfernungen. Eine Diskussion über eine Art von Ambulanzgebühren wird politisch in den nächsten Jahren weiterhin schwierig sein. In der Schweiz werden hauptsächlich von Versicherungsunternehmen telefonische Beratungssysteme angeboten. Die Benützung dieser, vor unreflektierter Konsultation einer Stelle im Gesundheitssystem, zieht eine Verringerung der Versicherungsprämie nach sich.
Aber auch die Verknüpfung von psychosozialen Ressourcen ist ein Schwerpunkt in Zukunft. So wird derzeit an verschiedenen Projekten mit Fachhochschulen gearbeitet. Eines davon ist die interdisziplinäre Triage und Verweisung von Personen. Sie gliedert sich in drei Stufen, nämlich Spot-and-treat, Hear-and-treat und Look-and-treat. In der ersten Stufe wird versucht, bereits nach telefonischen Kontakten Hilfebedürfnisse zu finden. So sollten „Frequent Flyer“ identifiziert werden, die aus unterschiedlichen Ansprüchen heraus, in auffällig hoher Frequenz verschiedene Hilfsangebote anfordern. In der zweiten Phase liegt es an den Experten am Telefon, weiteren Bedarf außerhalb von Rettungsdienst, Gesundheitsberatung, Ärztedienst usw. festzustellen. Die dritte Stufe ist der Rückgriff des Rettungsdienstes am Notfallort, der keine Notwendigkeit einer Hospitalisierung erkennt, den Patienten jedoch nicht unversorgt zurücklassen kann. Hier muss ein Konnex zu psychosozialen Diensten gespannt werden. Von der Exploration durch diplomierte Sozialarbeiter bis zur Krisenintervention durch psychologische oder psychotherapeutische Fachkräfte. Um dies auch rund um die Uhr zur Verfügung stellen zu können, werden alle verfügbaren Netzwerke, zum Beispiel die behördliche Sozialarbeit, in diesem Bereich in den Leitstellensystemen integriert. Andererseits wird auch daran gearbeitet Sozialarbeiter alarmierbar zu machen, die innerhalb kurzer Interventionszeit in den Einsatz gehen.
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