Rettungsdienst in Baden-Württemberg: Innenministerium muss handeln
Das Rettungswesen in Baden-Württemberg ist in den vergangenen Jahren selbst zum Patienten geworden und ist im deutschlandweiten Vergleich vor allem im Bereich der Hilfsfrist schlechter als in vielen anderen Bundesländern. Gleichzeitig verändern sich unter anderem aufgrund des demografischen Wandels die Rahmenbedingungen. In der Folge ist eine weitere Verschlechterung der Qualität des Rettungswesens in Baden-Württemberg absehbar. Zuständig für den Rettungsdienst in Baden-Württemberg ist das Innenministerium. Die Björn Steiger Stiftung sieht seit langer Zeit Handlungsbedarf, sowohl im Bereich der Veränderung bestehender Gesetze als auch im Bereich der Umsetzung zukunftsorientierter Maßnahmen.
Anders als in vielen anderen Bundesländern hat in Baden-Württemberg die Überschreitung der Hilfsfristen keine Konsequenzen. Das Innenministerium als regulierende Behörde nimmt regelmäßige Überschreitungen hin. Es erfolgen keine Sanktionen gegenüber den Leistungserbringern des Rettungsdienstes. Anders ist dies beispielsweise in Hessen. „In Hessen werden bereits Sanktionen bei der Nichteinhaltung der dort definierten Ausrückzeit und Fahrzeit verhängt, wenn die Begründungen nicht akzeptabel sind“, so Ulrich Schreiner, Geschäftsführer der Björn Steiger Stiftung Luftrettung gGmbH. „Sehen sich die Betreiber aufgrund Personal- oder Materialmangels nicht in der Lage die Zeiten einzuhalten, üben sie wiederum verstärkt Druck auf die Kostenträger, also auf die Krankenkassen aus. Dies wird dann in den Ausschüssen zwischen Krankenkassen, Landkreis (Rettungsdienstträger) und beauftragtem Leistungserbringer verhandelt und notfalls in der Landesschiedsstelle Rettungsdienst entschieden. Dieses Regulierungsmittel wäre auch für Baden-Württemberg wünschenswert, um Verbesserungen in Gang zu setzen.“
Weiteres Potenzial der Qualitätsverbesserung sieht die Björn Steiger Stiftung in der Trennung zwischen Notfallrettung und Krankentransport. In Baden-Württemberg werden derzeit Rettungswagen auch für Krankentransporte eingesetzt und sind somit für lebensbedrohliche Notfälle in diesem Zeitraum nicht verfügbar. Die Nach-Hause-Bringung eines Genesenen verhindert somit die Rettung eines akut erkrankten oder verunfallten Menschen. Die Lösung wäre eine eigene Organisationsstruktur für reine Krankentransportmittel. „Sinnvoll wären etwa fünf überregionale Dispositionszentralen für Baden-Württemberg, um die geplanten Transporte logistisch effizient zu organisieren“, so Schreiner.
Der Landkreis Waldshut hat unter den Mängeln im Rettungswesen im Land am meisten zu leiden; hier werden die Hilfsfristen am häufigsten überschritten. Aus diesem Grund fordert er seit über sieben Jahren einen Rettungshubschrauber, um eine schnellere Notfallversorgung zu gewährleisten. Das Innenministerium sitzt dieses Thema jedoch seit dieser Zeit aus. Die Björn Steiger Stiftung setzt sich seit 2015 für einen Dual-Use-Hubschrauber RTH/ITH am Standort Hütten ein. Mit einem zusätzlichen Hubschrauber müsste die Bevölkerung nicht wie bisher zu lange auf einen Notarzt warten (s. Tabelle). Eine luftrechtliche Genehmigung liegt bereits vor, doch das Innenministerium weigert sich nach wie vor die Betriebsgenehmigung zu erteilen. Stattdessen will es ein eigenes Gutachten zur Struktur der rettungsdienstlichen Versorgung in Auftrag geben, obwohl der Landkreis bereits letztes Jahr ein entsprechendes Gutachten erstellt und beim Innenministerium eingereicht hat. In der Folge wird die Region mindestens ein weiteres Jahr unterversorgt bleiben.
-„Wir verstehen nicht warum viele Verbesserungen, die seit langem diskutiert werden, nicht angepackt werden. Insbesondere im Südschwarzwald macht das Aussitzen von Entscheidungen die Lage zunehmend prekärer und lässt die Bürger im Regen stehen“, so Schreiner. Mit Blick auf die kommenden Jahre wird ein Handeln umso dringlicher. Aufgrund gesellschaftlicher und struktureller Veränderungen, wie beispielsweise demografischer Wandel, Klinikzentralisierung, Hausarztmangel, verändertes Notrufverhalten und vielem mehr sind Verbesserungen durch neue Konzepte im Rettungsdienst zwingend notwendig und bereits heute überfällig.
Da der Rettungsdienst in Deutschland föderal organisiert ist, bestehen bundesweit 16 verschiedene Rettungsdienstgesetze. Dementsprechend hat jedes Bundesland eigene Vorgaben für die Hilfsfrist, also die Zeit, die nach dem Eingang des Notrufs bis zum Eintreffen der Rettungskräfte am Unfallort höchstens verstreichen darf. Die Hilfsfrist in Baden-Württemberg beträgt 10 bis höchstens 15 Minuten (in 95% der Fälle), was im bundesdeutschen Vergleich relativ lang ist. Vergessen wurden im Gesetz die Festlegung von Sanktionen und die Definition von Dispositionszeit, Ausrückzeit und Fahrzeit. Zudem wird die Hilfsfrist im Rettungsdienstgesetz als reine Planungsgröße verstanden.
Ziel der Hilfsfristen ist es das sogenannte therapiefreie Intervall beim Patienten so kurz wie möglich zu halten. Um die Genesung eines Notfallpatienten zu gewährleisten, müssen lebensrettende Sofortmaßnahmen möglichst zeitnah durchgeführt werden. Da bei einem Herz-Kreislauf-Stillstand bereits in den ersten paar Minuten reanimiert werden sollte, versuchen private, ehrenamtliche Initiativen mit der Einrichtung von Helfer-vor-Ort-Gruppen/First Responder das therapiefreie Intervall noch kürzer zu halten.
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